Kann man am südlichen Ende der Welt trampen?

 

Frisch vermählt brach Schöffel-Athlet Ralf Dujmovits mit seiner kanadischen Frau Nancy Ende Dezember zur Hochzeitsreise in Richtung Antarktis auf. Fünf Mal schon war Ralf im Inneren des siebten Kontinents zum Bergsteigen unterwegs. Dieses Mal sollte es in den Randbereich der Antarktis –zur Antarktischen Halbinsel- gehen. Neben steilen Erstbesteigungen und außergewöhnlichen Skitouren hatten sich die beiden auch die Begegnung mit einer faszinierenden Tierwelt erhofft. Und diese und jede Menge andere Überraschungen gefunden – wie Ihr im nachfolgenden Blogbeitrag von Ralf nachlesen könnt.

 

Skipperin Cath und Ralf beim Auslaufen in Ushuaia © Nancy Hansen
Skipperin Cath und Ralf beim Auslaufen in Ushuaia © Nancy Hansen

 

Kurz vor Weihnachten 2018 waren wir über Buenos Aires in den argentinischen Teil Feuerlands gereist. Im kleinen Yachthafen von Ushuaia -die am südlichsten gelegene Stadt der Erde- treffen sich Weltenbummler und Abenteurer aus der ganzen Welt. Ushuaia ist neben dem Endpunkt der Panamericana auch das Tor zum sagenumwobenen Kap Horn und damit zur Überfahrt Richtung Antarktis.

Erstes Ziel unserer Segelreise war die wind- und oftmals auch sturmgepeitschte Drake-Passage. Mit sehr gemischten Gefühlen bogen wir nach wenigen Stunden vom Beagle Kanal in diese wildeste Wasserstraße der Erde ein – knapp 1000 km sind es bis zum Schwanzfortsatz der Antarktis, der antarktischen Halbinsel. Und es brauchte auch nicht lange bis ich bei meterhohen Wellen richtig, richtig seekrank wurde. „Sterben wollen‘ ist noch milde ausgedrückt, was mich dort die ersten eineinhalb Tage bewegte. Mit viel Glück ließ der starke Seegang bald nach und die Pflaster gegen Seekrankheit hinter den Ohren aufgeklebt zeigten endlich Wirkung. Fortan hatten wir eher mit Flaute zu kämpfen als mit zu starkem Wind und wir mussten immer wieder den Hilfsmotor anwerfen. Wie auch später oftmals während unserer Zeit ‚im Süden‘.

 

 

Die ersten Eisberge und vorgelagerten Inseln der Antarktischen Halbinsel
Die ersten Eisberge und vorgelagerten Inseln der Antarktischen Halbinsel

 

Nach dreieinhalb Tagen auf offener See –von denen ich mich mit Bildern der Segelkünste der zahlreichen Albatrosse- nur an zwei wirklich erinnere, sahen wir die ersten Eisberge und später die ersten vorgelagerten Inseln der Antarktischen Halbinsel. ‚Punta Sucia‘ im Norden der antarktischen Halbinsel hieß unser Ziel am Beginn des dreißig Kilometer langen Breguet Gletschers. Über diesen wollten Nancy und ich eine sechsköpfige, internationale Abenteurer-Gruppe auf’s Plateau der antarktischen Halbinsel bringen – und hofften danach drei Wochen Zeit für eigene Unternehmungen zu haben. Schon am nächsten Morgen nach Ankunft starteten wir mit der Gruppe und ihrem gesamten Gepäck den ersten steilen Aufstieg – Nancy und ich mit je zwei Schlitten im Schlepptau jeweils beladen mit 35 - 40 kg Gepäck. Dies war der ausgemachte Deal um per Segelboot einigermaßen günstig in die Antarktis zu kommen.

 

Lagerplatz auf dem Breguet Gletscher mit Mt. Cornu im Hintergrund © Nancy Hansen
Lagerplatz auf dem Breguet Gletscher mit Mt. Cornu im Hintergrund © Nancy Hansen

Dass es harte Arbeit sein würde die Gepäckschlitten 40 km auf’s 2000 m hoch gelegen Plateau der Antarktischen Halbinsel hinauf zu ziehen war uns seit Beginn der Planung vor einem Jahr schon klar. Dass wir aber solch bescheidenes Wetter wie in den kommenden sechs Tagen haben könnten hatten wir mit unseren stark positiven Filtern verdrängt. Wir bissen uns aber mit der Gruppe durch und konnten sie am fünften Tag am Beginn des Detroit Plateaus auf exakt 2000 m abliefern. Das Ansinnen der Gruppe war die erste Durchquerung des Plateaus der antarktischen Halbinsel ‚by fair Means‘ – also ohne Hundeschlitten. Sich und das Gepäck also mit eigenen Kräften per Schlitten über das Plateau zu bewegen, an dessen Endpunkt wir sie nach drei Wochen wieder abholen sollten.

 

Außer dem Wetter verlief der be-‚schwer‘-liche Aufstieg reibungslos und so konnten Nancy und ich nach einem sehr emotionalen Abschied von der Gruppe am sechsten Tag die gesamte Strecke in 10 Stunden wieder zurück. Noch am gleichen Abend holten uns die australische Skipperin Cath und ihr spanischer Helfer Alex am Ufer bei Punta Sucia ab und nun sollten wir –so die Planung – für die kommenden drei Wochen das Segelboot ‚Icebird‘ für uns zur Verfügung haben. Leider kam aber alles ganz anders.

 Einen einzelnen Tag sagte der Wetterbericht zunächst noch gutes Wetter an und so beschlossen wir vor der Weiterfahrt Richtung Süden erstmal mit Seekajaks einen Ausflug zu einer nahegelegenen Pinguin- und Pelzrobben-Kolonie zu machen. Dass die Tiere so eindrucksvoll und neugierig sein würden hätten wir nie gedacht. Aus fünf Metern Abstand konnten wir die Gentoo-Pinguine bei der Pflege und beim Füttern ihres Nachwuchs beobachten und erlebten aus unmittelbarer Nähe, wie die ganze Kolonie tieffliegende Skuas, die an ihre Eier und an die Küken wollten, mit viel Geschrei abwehrten.

Ralf während des Aufstieg zum Mt. Hoeg oberhalb Paradise Harbour © Nancy Hansen
Ralf während des Aufstieg zum Mt. Hoeg oberhalb Paradise Harbour © Nancy Hansen

Auf dem Weiterweg in Richtung Süden gelang Nancy und mir eine schöne Skibesteigung des knapp 1000 m hohen Mount Hoegh oberhalb der paradiesisch schönen Bucht ‚Paradiese Harbour‘. Mit den Tourenskiern bei bestem Firn auf das dunkelblaue Meer mit umherdriftenden Eisbergen zuzufahren, das Ganze vor der Kulisse der steilaufragenden Berge der Umgebung, war eine tief beeindruckende Erfahrung. Abends wurde wir noch von der Besatzung der chilenischen Forschungsstation ‚Gabriel Videla‘ zu einem lustigen Beisammensein mit Barbecue eingeladen.

Im Zustieg zu ‚unserem‘ Erstbesteigungsversuch auf Winke Island © Nancy Hansen
Im Zustieg zu ‚unserem‘ Erstbesteigungsversuch auf Winke Island © Nancy Hansen

Ein weiteren Tag später waren wir im engen Lemaire-Kanal angekommen. Fels- und Eisspitzen, steil aus dem Wasser aufreganed, so weit das Auge reicht. In dieser aktuell mit Eisschollen gespickten Wasserstraße hatten wir uns in der fast einjährigen Planungs- und Vorbereitungsphase ein paar unbestiegene Gipfel ausgesucht und wollten dem ersten gleich am nächsten Tag zu Leibe rücken. Leider war es so warm, dass wir die Steileisgeräte horizontal ins blaue Eis schieben konnten und damit eine Sicherung mittels Eischrauben völlig unmöglich war. Also Abstieg und erstmal auf tiefere Temperaturen hoffen. „Weiter südlich gäbe es in der Zwischenzeit noch einen interessanten Berg mit einer Möglichkeit für eine steile Skitour“ meinte unsere Skipperin Cath „und zudem eine sehr gastfreundliche, ukrainische Forschungsstation“. Nancy und ich schauten uns überrascht an: „Bei solch dichtem Treibeis weiter nach Süden?“ „Ja“ meinte Cath, „die ‚Icebird‘ sei ja schließlich ein Expeditionsboot. Kein Problem!“. 8 Stunden später – nach sehr zähem Vorwärtskommen im Treibeis – lagen wir unter dem steil aufragenden Mount Demaria vor Anker.

Abfahrt am Mt. Demaria
Abfahrt am Mt. Demaria

 

Und konnten am nächsten Mittag schon vom Gipfel in Richtung Meer abfahren, das immer dichter von Treibeis und Eisbergen bedeckt war. Die Fahrt im schlechter werdenden Wetter zur ukrainischen Forschungsstation ‚Vernadsky‘ war ein einziges Vor und Zurück, Vor und Zurück. Der Hilfsmotor unserer ‚Icebird‘ tat mir leid. Manche der größer werdenden Seeeisschollen waren schon kaum mehr zu durchbrechen.

 

Immer dichter wird das Treibeis © Nancy Hansen
Immer dichter wird das Treibeis © Nancy Hansen
Einladung bei den Mitarbeitern der ukrainischen Forschungsstation Vernadsky © Nancy Hansen
Einladung bei den Mitarbeitern der ukrainischen Forschungsstation Vernadsky © Nancy Hansen

Die Besatzung der ‚Vernadsky‘ freute sich über den unerwarteten Besuch und wir wurden zwei Tage zu Sauna, Baden im Meer neben Pinguinen und Eisschollen, zu prima Essen und langen Abenden in der Stationseigenen ‚Faraday-Bar‘ eingeladen. Besser werdendes Wetter und aufkommender Wind machten Skipperin Cath dann aber Hoffnung, dass wir mit weniger Treibeis weiter kommen könnten und so starteten wir nach drei Tagen toller Gastfreundschaft in Richtung Norden. Kaum hatten wir die Bucht der Vernadsky-Station hinter uns gelassen, wurde das Treibeis aber so dicht, dass wir nur sehr zäh vorwärts kamen und kurze Zeit später gab‘ das Getriebe des Schiffsmotors den Geist auf. Nichts ging mehr!

 

 

Nach Getriebeschaden und einem Seilreis ein weiterer Abschlepp-Versuch im Treibeis © Nancy Hansen
Nach Getriebeschaden und einem Seilreis ein weiterer Abschlepp-Versuch im Treibeis © Nancy Hansen

Glücklicherweise war das chilenische Kreuzfahrtschiff „Ocean Nova“ zu diesem Zeitpunkt im Lemaire-Kanal, fing unseren Notruf auf und kam uns sechs Stunden später zu Hilfe. Für die 80 Passagiere DAS Spektakel. Das erste Tau, mit dem wir abgeschleppt wurden, riss mit unserem Eigengewicht und dem der oftmals kaum zu durchbrechenden Eisschollen. Das zweite, deutlich dickere Abschlepp-Tau hielt durch bis wir um zwei Uhr morgens mit verbogenem Hauptruder und etlichen Dalle im Aluminium-Rumpf der ‚Icebird‘zurück in Paradise Harbour bei der Chilenischen ‚Videla‘-Station vor Anker lagen. Uff – was ein Tag! Nun war guter Rat erst mal schwierig zu finden. Unsere Durchquerer würden die nächsten Tage noch auf dem Plateau der antarktischen Halbinsel unterwegs sein und Nancy und ich sollten sie ja eigentlich dort oben mit in ungefähr 10 Tagen wieder abholen.

Begegnung mit Walen per Seekajak
Begegnung mit Walen per Seekajak

 

Die mühevollen Versuche von Alex und dem chilenischen Stations-Mechanikers unser Getriebe zu reparieren waren leider ohne Erfolg. Alex war Meeresbiologe und der chilenische Mechaniker früher Waschmaschinenmechaniker. Ein Schiffsgetriebe wieder auf Vordermann zu bringen braucht ‚andere‘ Kenntnisse. So verbrachten wir die Tage zwischen bangem Warten und Hoffen. Wir konnten noch eine Skitour unternehmen und erlebten doch noch das absolute Highlight unserer Antarktis-Reise: bei einem Ausflug mit den Seekajaks bei spiegelglatter See tauchten unmittelbar neben uns einige Buckelwale mit ihren Jungen auf. Diese 15 bis 30 Tonnen schweren Säugetiere beäugten uns vorsichtig, atmeten tief durch, tauchten ab –und wir konnten ihre mit Muscheln bewachsenen Schwanzflossen sehen- um wenig später etwas weiter wieder aufzutauchen. WAS EIN ERLEBNIS aus der Perspektive der zerbrechlichen Seekajaks diese urweltlichen Riesentiere zu sehen. Mein Puls war auf 180 als einmal einer der Wale 4 Meter neben mir auftauchte und blies.

 Cath gelang es den Skipper eines chilenischen Segelboots mit amerikanischen Fotografen an Bord zu überzeugen Nancy und mich mitzunehmen und uns in 10-stündiger Fahrt zum Ausgangspunkt unserer Abholmission zu bringen. Im Eiltempo liefen wir den Durchquerern teilweise im völligen White-Out entgegen und trafen sie mit ihren Unmengen an Gepäck genau vor der schwierigsten Stelle des langen Abstiegs.

Wir konnten alle sicher nach unten führen und waren letztlich froh als uns ein anderes, wieder von Cath organisiertes Boot Segelboot –dieses Mal mit einer polnischen Tauchermannschaft an Bord- zur ‚Videla‘-Station zurück brachten.

 

Und schon ging es weiter: Cath hatte den Skipper einer französischen Segelyacht gewinnen können uns zunächst von der antarktischen Halbinsel weg auf’s offene Meer in die Drake-Passage zu schleppen. Leider war wieder Flaute und so schleppten uns die Franzosen –man glaubt es kaum- bei völliger Windstille eineinhalb Tage durch den ersten Teil der Drake Passage. Nach einigen Stunden tatsächlichem Segeln übernahm uns bei erneuter Flaute die russische Yacht ‚Rusarc Aurora‘ und so erreichten wir nach 6 langen Tagen für die 1000 km der Drake Passage Kap Horn und etwas später unseren Ausgangspunkt Ushuaia.

Ralf und Nancy im Abstieg zurück nach El Chalten
Ralf und Nancy im Abstieg zurück nach El Chalten

Wo Nancy und ich auf eine unglaublich abenteuerliche Hochzeitsreise zurückblicken konnten. Sicher hielten sich die bergsteigerischen Erfolge in Grenzen. Was aber mehr für uns zählt waren die hautnahen Erfahrungen mit der eindrücklichen Tierwelt der Antarktis, die superschönen Skitouren, die wir unternehmen konnten und die Freundschaft und Solidarität unter den wenigen Seglern, die in den eisigen Gewässern der Antarktis unterwegs sind. Ohne deren Hilfe würden wir wahrscheinlich heute noch irgendwo vor der antarktischen Küste im Eis feststecken. Dass Nancy und ich die noch verbleibenden 10 Tage bis zum Rückflug in Patagonien verbrachten, möchte ich nur am Rande erwähnen. Das Wetter war einfach zu schlecht um im ‚Los Glaciares Nationalpark‘ etwas wirklich großes ‚einreisen‘ zu können. Wir werden wieder kommen, die patagonischen Granitgipfel stehen noch eine Weile ;-))